Der Uhudler: Vom Haustrunk der Gesetzlosen zum Kultwein

Verrufen, verspottet, verfolgt und auch noch verboten - der Uhudler hat eine lange Tradition hinter sich.

Doch was steckt wirklich hinter dieser über 100 jährigen, österreichischen Weinsorte aus dem Südburgenland, die nach einer bewegten Geschichte Anfang 2011 unter den Schutz der „Arche des Geschmacks“* von „Slow Food International“ gestellt wurde?

Uhudler

DIE ENTSTEHUNGSGESCHICHTE DES UHUDLERS

1860:
Die aus Amerika eingeschleppte Reblaus vernichtet nahezu alle europäischen Rebsorten. Die europäische Kulturrebe (Vitis vinifera) hat keine Abwehrmechanismen gegen den neuen Schädling. Trotz verzweifelter Versuche, den ungebetenen Gast aus Übersee mit drastischen Mitteln (bis hin zu hochgiftigen Bleimischungen) zu bekämpfen, werden z.B. alleine in Frankreich 2,5 Millionen Hektar Rebfläche vernichtet.
1869:
Die Reblaus erreicht auch Österreich und wird erstmalig in Klosterneuburg bei Wien nachgewiesen. Von hier aus verbreitete sie sich in alle anderen österreichischen Weinbaugebiete und verursacht katastrophale Schäden. Als alle „chemischen Keulen“ versagen, werden reblausresistente amerikanische Rebstöcke (z.B. Concord, Elvira, Noah Grün, Othello Blau, Isabella und Ripotella), die als Direktträger oder Hybrid wurzelecht (das bedeutet: sowohl die Wurzel als auch die oiberirdischen Triebe sind von der gleichen Sorte) gedeihen, importiert. Der Wein aus diesen Reben entspricht keinesfalls den gewohnten Geschmacksrichtungen und wird deshalb kunstvoll, mühsam und zeitaufwändig mit den heimischen Sorten gekreuzt. Nur einige wenige „Winzer“ lassen die Reben aus Übersee in ihrer ursprünglichen Form gedeihen. Ob aus biologischer Weitsicht oder schlichtweg aus Mangel an önologischem „Fachwissen“ ist nicht überliefert. Man kann allerdings vermuten, dass die spätere, nahezu militante Ablehnung dieser Direktträger-Weine durch traditionelle Weinbauexperten aus diesen Kompetenzdiskussionen entstand.
1936:
Das Auspflanzen von Hybridpflanzen und der Verkauf von Hybridweinen werden verboten. Direktträger-Weingärten müssen mit einer Übergangsfrist von 10 Jahren bis auf einen Rest von 25 Prozent gerodet werden. Dem Uhudler wird unterstellt, Ursache für Siechtum, Hysterie, Zornexzesse und Missbildungen bei Kindern zu sein. Aus heutiger Sicht natürlich vollkommener Unsinn, der lediglich Teil des damaligen Konkurrenz-Marketings der „Edelwein Lobby“ war (ist?).

Uhudler Ripatella

1937:
Verschnittverbot! Verschnitt von Edelwein und Direktträgerwein darf nicht in den Verkehr gesetzt werden.
1961:
In Österreich wird der Uhudler als „Haustrunk“ beschränkt. Die Produktion für den Eigenverbrauch ist erlaubt. Verbot von Ausschank und Verkauf.
1971:
Mengenbegrenzung des Haustrunks. Nur noch 400 Liter Uhudler "je im Weinbau vollbeschäftigte Person und Jahr" sind erlaubt.
1985:
Im Zuge des österreichischen „Weinskandals“ tritt ein neues Weingesetz in Kraft. Neben verfälschten Prädikatsweinen mit hohem Glykolgehalt wird auch der Uhudler zum Nicht-Wein erklärt. Das neue Weingesetz definiert Weine, die aus "Trauben amerikanischer Ertragskreuzungen hergestellt wurden", nur noch als "weinähnliches Getränk", das genauso "verkehrsunfähig" sei (also vom Verkauf ausgenommen) wie "verdorbener Wein" oder "verfälschter Wein". Der Begriff "Haustrunk" wird aus dem Weingesetz gestrichen. Tausende Liter Uhudler (vor allem im Südburgenland) werden von Kellereiinspektoren ausgeleert und kanalisiert. Unbeugsame Winzer werden strafrechtlich verfolgt.
Ab 1992:
Legalisierung - Aufnahme des Direktträgerweines in das Weingesetz. Die Bestimmung des alten Weingesetzes 1985 über Direktträgerwein entfällt. Registrierung von Wort-Bild-Marken mit dem Wortlaut Uhudler beim österreichischen Patentamt. Damit ist der Name „Uhudler“ markenrechtlich geschützt und darf ausschließlich im Südburgenland/Österreich (Bezirk Jennersdorf, Güssing und Oberwart) verwendet werden. Außerdem dürfen nur solche Uhudlerweine, die eine strenge sensorische und chemische Prüfung positiv bestanden haben, das Originaletikett tragen.

Uhudler Flasche

WIE SCHMECKT DER UHUDLER? Genussreisen-Weintipp!

Wie der fertige Uhudler schmeckt, hängt natürlich von der verwendeten Rebsorte ab, meist handelt es sich um einen Gemischten Satz aus den Sorten Concordia und Ripotella, Elvira, Delaware, Isabella und Noah. Die Farbe variiert je nach Sorte und Herkunft bei weißem Uhudler vom blassen Stroh- bis Hellgelb. Rote Sorten schillern von zart Rosa, Zwiebelschale, helles Kischrot bis zu Ziegelrot. Im Duft erinnert der Uhudler an Waldbeeren, Ribisel (Johannisbeeren) oder auch Himbeeren. Der Geschmack ist durch eine herb-deftige Säure geprägt, die man auch im Abgang deutlich, aber angenehm merkt.
Mit ca. 11% Alkoholgehalt ist der Uhudler ein perfekter Sommerwein und passt hervorragend zu deftigen, burgenländischen Spezialitäten wie Verhackerts (Brotaufstrich aus geräuchertem, klein gehacktem Speck), Bratelfett, Grammelpogatschen (runde, salzige Gebäckstücke mit Grieben), Krautsuppe, Hauerplatte usw..
Die ideale Trinktemperatur liegt zwischen 7 und 10 Grad. Sehr zu empfehlen sind auch die Varianten Uhudler-Sekt und Uhudler-Frizzante, die mit dazu beigetragen haben, dem „Wein der Gesetzlosen“ Kultstatus zu verleihen. In der Weinliteratur wird auch oft der "Foxgeschmack" oder "Foxton" erwähnt und dabei auf den Geruch eines nassen Fuchsfells verwiesen. Dazu kann ich leider keine näheren Erläuterungen geben, da ich bisher noch keinem Fuchs näher als 50m gekommen bin.
Fakt ist, der Uhudler schmeckt „anders“ und kann daher keinesfalls mit „normalen“ Weinen verglichen werden. Beim Verkosten sollten Sie sich daher unabhängig von anderen Kommentaren und Bemerkungen auf lediglich zwei Kriterien beschränken: Der Wein schmeckt MIR - oder er schmeckt MIR nicht.

Jause

UHUDLER-LEGENDEN

Dem Wein werden geradezu mystische Kräfte zugeschrieben. In ihm wohne die Kraft der Metamorphose – wahrscheinlich aber nur bei stark überhöhtem Konsum. Woher der Name "Uhudler" stammt, weiß keiner so genau. Dazu gibt es viele Geschichten. Plausibel klingt die Version mit dem "Uhu-Blick", den man angeblich nach übermäßigem Genuss bekommt.
Die von „Edelweinrittern“ früher oft geführte Behauptung, Uhudler mache "blöd und blind" beruht auf genauso falschen Wurzeln, wie die „Spinat-Eisen“ Legende. Die Mär vom Gemüse, mit dem sich Mangelerscheinungen kurieren lassen, ging um den Globus - und lebt fort. Das Grünzeug mag Popeye stark machen, viel Eisen enthält es aber nicht. Ein harmloses Paradebeispiel für einen Irrtum, der durch stete Wiederholung zur vermeintlichen Wahrheit wurde. Beim Uhudler führten falsche Interpretationen allerdings zur jahrzehntelangen „Prohibition“. Direktträgerweine haben mit ca. 123 mg/l tatsächlich einen geringfügig höheren Methanol (oder Methylalkoholgehalt) als QualitätsWEISSweine (98 mg/l). QualitätsROTwein hat allerdings mit 131 mg/l einen um 7% (!) höheren Methanolgehalt als Uhudler!
Unverfälschte, biologisch „reine“ Direktträgerweine gibt es nicht nur im Südburgenland, sondern auch in vielen anderen Teilen Europas. Sie haben doch kaum eine ähnlich bewegte Vergangenheit wie der „Uhudler“ aufzuweisen und fristen daher meist (noch) ein Schattendasein: Beispielsweise in der Schweiz als „Americano“ und in Italien als „Fragolino“.

Heuriger uhudler

WO WÄCHST DER UHUDLER?

Im Südburgenland, in den Bezirken Güssing und Jennersdorf, mit dem Zentrum in der Heiligenbrunner Kellergasse. Die urigen, strohgedeckten Presshäuser und Lagerkeller erinnern an ein Freilichtmuseum, sind aber alle noch in Betrieb und bei vielen Winzern gibt es auch Uhudler samt einer deftigen Jause zu kosten. Auch Moschendorf ist einen Besuch wert. Im lokalen Weinbaumuseum befindet sich auch eine Uhudler-Vinothek, die von Mai bis Oktober geöffnet ist.

FAZIT:
Nach vielen Gläsern guten Rotweins aus aller Welt, exquisiten Weißweinen aus meinen bevorzugten Regionen Südsteiermark oder Kamptal und selbst nach einigen Weinseminaren mit entsprechender „Belehrung“ durch Experten hat auch der Uhudler einen Stammplatz in meiner Vinothek gefunden. Leider immer nur für kurze Zeit, denn lagerungsfähig ist er nicht (maximal zwei Jahre). Jeder Wein hat seine Berechtigung. Über Geschmack lässt sich zwar bekanntlich streiten, nur über meinen eigenen streite ich mit mir selbst nicht. Und dort passt der Uhudler (mit entsprechendem Bedacht auf das gastronomische Umfeld) perfekt hinein.

Genussreisen - © 2012 Helmut Sicheritz

* Die „Arche des Geschmacks“ ist ein internationales Projekt der Slow Food Stiftung für biologische Vielfalt. Sie ist das „Weltkulturerbe“ des Essens: eine Liste von Pflanzenarten, Nutztierrassen, lokalen und regionalen Lebensmitteln, die geschmacklich herausragend sind, deren Existenz aber gefährdet ist – weil ihre Produktion handwerklich aufwendig ist oder weil sie unter den herrschenden Marktbedingungen als unwirtschaftlich angesehen werden.